Wiederaufbau
 
 

Der Einzug der amerikanischen Truppen beendete den Bombenhagel in Meerbeck.
Ich erinnere mich noch gut an den 4. März 1945. Nach dem wir mehrmals ausgebombt waren, kamen wir im November 1944 bei Verwandten in Budberg unter. Da fast alle Frauen und Kinder evakuiert waren, war ich der einzige Messdiener. Jeden Sonntagmorgen kam ich, in Begleitung meiner Schwester Mia, zum Messe dienen nach Meerbeck. So auch an diesem Sonntag, den 4. März 1945. Auf diesem Weg wurden wir mehrmals von Jabos (Jagdbomber) angegriffen.
Da die Kirche zerstört war, fand der Gottesdienst im Kindergarten statt. Als wir in Meerbeck ankamen, überfiel uns eine unheimliche Stille. Ganz Meerbeck war wie ausgestorben. Die noch aufgesuchten Bunker hatten alle weiße Fahnen. Da wir am Kindergarten niemanden antrafen, gingen wir zum Bunker an der Donaustraße. Dort suchten unter anderen auch unsere Geistlichen und Schwestern Schutz. Zu dieser Zeit standen die amerikanischen Truppen schon an der Krefelder Straße in Moers. Die Spannung im Bunker wuchs von Minute zu Minute. Gegen elf Uhr hörten wir vereinzelt Maschinengewehrfeuer. Einer kletterte im Notausgang hoch und sah die amerikanischen Panzer auf der Bismarckstraße. Beim Verlassen des Bunkers mussten wir an zwei Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehr vorbei, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen wurden wir dann in Richtung Moers geführt.
Erst die totale Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 beendete schließlich das grauenvolle Kapitel des Zweiten Weltkrieges. Es folgte eine Zeit der Not und Entbehrungen. Es galt vorrangig wieder Wohnraum zu beschaffen und das notwendigste für den Lebensunterhalt. Neben den zurückkehrenden evakuierten Familien strömten auch viele Flüchtlinge aus dem Osten nach Meerbeck. Hinzu kamen die vielen Kriegsgefangenen aus allen Teilen des Reiches, welche durch die Verpflichtung, im Bergbau zu arbeiten, frühzeitig aus der Gefangenschaft entlassen wurden. Andere wurden nach der Entlassung direkt für den Bergbau dienstverpflichtet.
Schon bald nach dem Krieg begannen die Aufräumungsarbeiten in der Kolonie. Die halbwegs noch brauchbaren Wohnungen wurden notdürftig repariert. Das notdürftige Ausbessern der beschädigten Wohnungen, zum Beispiel durch Vernageln der scheibenlosen Fenster mit Pappe oder dem Sperrholz von Möbelrückseiten, gehörten zu den wichtigsten Arbeiten der Koloniebewohner. Viele " hausten " in Keller oder Bunker (auch die Bunkeranlagen der Flak im Meerbecker- Feld waren dicht bewohnt).
Die erste Linderung waren Notunterkünfte. Die Werksleitung von Rheinpreußen begann im Sommer 1946 mit dem Bau der ersten »Nissenhütten«. Sie erregten zunächst ein nicht unberechtigtes Aufsehen. Die merkwürdige und nicht gerade ansprechende Form dieser Behelfsbauten gab Anlass zu mehr und minder heftigen Diskussionen. Das Rheinpreußen-Nissenhütten-Projekt umfasste 350 Hütten. Bis auf einzelne, auf den Fundamenten des Anbaues der zerstörten Koloniehäuser aufgebaute, gab es 3 Großprojekte. Zwischen Friedhof und Blücher Straße, zwischen Hammerstrasse und Römerstraße und zwischen der Bundesbahn-Kreisbahn im Bereich des heutigen Enni-Werkes an der Wittfeldstraße.


Nissenhütten an der Bahnanlage


Bewohnte Nissenhütten


Nissenhütten werden abgerissen

Oft haben Sprengbomben Häuser so aufgetrennt, das selbst noch intakte Wohnungen aus Sicherheitsgründen abgerissen werden mussten. Baumaterialien gab es, wenn überhaupt nur mit Kompensationsgeschäften. Mit Materialien aus der Enttrümmerung wurde oft in Eigeninitiative provisorischer Wohnraum geschaffen. Die Arbeit musste weitestgehend von den Frauen (Trümmerfrauen) und Kindern erbracht werden.
Für die alleinstehenden Bergleuten wurden Wohnunterkünfte geschaffen, so zum Beispiel das Barackenlager an der Neckarstrasse (Bullenkloster). Viele fanden auch in Familien eine Unterkunft.

Noch schlimmer war die Lebensmittelknappheit in den ersten Jahren nach dem Krieg. Wie im gesamten Industriegebiet traten in der ersten Nachkriegszeit auch in Meerbeck große Versorgungsengpässe auf. Vor allem war die Ernährungssituation katastrophal der Kalorienwert der laut Lebensmittelkarten der Bevölkerung zustehenden Lebensmittel lag, in der britischen Besatzungszone im Juni 1945 mit 1470kcal pro erwachsener Person und Tag um mehr als 1000 kcal unter dem Wert, den der Völkerbund 1935 für einen Menschen mit leichter Tagesarbeit als unbedingt erforderlich angegeben hatte.



Tagesration

Zur Verteilung gelangten jedoch wesentlich geringere Mengen. Nach medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen bestand Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung nicht nur wegen des zu geringen Energiegehalts, sondern auch wegen der einseitigen Zusammensetzung der Nahrung. Im Sommer 1946 konnte diese Not durch Selbstversorgung oft noch gelindert werden.
Wer einen Garten hatte war froh. Außerdem wurden alle Freiflächen, Vorgärten und die Grundstücke zwischen den zerstörten Häusern zu Nutzflächen für Gemüse und Kartoffeln umgewandelt. Dabei war man immer in Angst, dass die Erträge gestohlen wurden.
Darüber hinaus begannen die Zeit des " Hamsterns ", " Organisieren ", " Tauschen" und " Besorgen".


Hamstern
Die allgemeine schlechte Versorgungslage zwang die Familien auch in Meerbeck Nahrung, Kleidung, Möbel und Hausrat auf zum Teil illegalen Weg zu beschaffen. Im Vorteil war derjenige, der etwas zu tauschen hatte. Mit diesem Tauschobjekt fuhr man in ländlichen Gegenden. Entweder mit dem Fahrrad, da es keine Fahrradreifen und Schläuche gab behalf man sich, in dem man auf die Felgen Abbauhammerschläuche (aus der Grube) aufzog deren Enden mit einem Stahldraht zusammengehalten wurden. Bei jeder Radumdrehung gab es wegen der offenen Schlauchenden ein klapperndes Geräusch. Diese Art der Bereifung erforderte natürlich einen erhöhten Kraftaufwand, aber man konnte sich fortbewegen.

Eine andere Art um in die " Hamstergegend " zu kommen, war die Bahn zu benutzen. Da diese Züge ständig überfüllt waren war man froh, wenn man sich einen Platz auf dem Trittbrett oder dem Dach erkämpfen konnte.
Die Wertgegenstände tauschte man auf dem Land gegen Kartoffeln, Speck, Gemüse oder Eier ein.
Unsere Verwandten in Budberg waren Teilselbstversorger das heißt auf deren Brotmarken konnte auch Mehl bezogen werden. Mit diesen Brotmarken machte ich mich mit dem Fahrrad, mit oben beschriebener Bereifung, auf den Weg zur Mühle nach Asterlagen. Aber vergebens. Dann zur Dampfmühle nach Neukirchen, wieder vergebens! Bei der Mühle Wink, an der Straße nach Niep bekam ich endlich das langersehnte Mehl. Es waren eine unvorstellbare Menge von 10 Pfund Mehl. Diese war abgefüllt in einem Säckchen, aus einem Grubenhandtuch gefertigt. Überglücklich machte ich mich auf den Weg nach Hause. Auf der Repelener Straße in Moers, in Höhe des Moersbaches, stießen mich zwei Männer vom Fahrrad, klauten mir das Mehl und verschwanden. Blind von Tränen kam ich Zuhause an.
Das gleiche niederschmetternde Gefühl hatte man, wenn nach stundenlangem Anstehen in der Schlange für Brot oder Lebensmittel, kurz bevor man an der Reihe war, alles ausverkauft war. Manchmal haben wir uns schon morgens um vier Uhr vor das Geschäft gestellt. Wenn man einige Zeit gestanden hatte, wurden man durch ein anderes Familienmitglied abgelöst. Und wenn man dann endlich drankam, hatte man noch oft das Pech, dass die Ware alle war. Am anderen Morgen ging das gleiche von vorne los. Oder eine erfolglose Hamstertour lag hinter einem.
Eine weitere Möglichkeit um an zusätzliche Nahrung zu kommen war auf abgeernteten Feldern restliche Ähren zu sammeln (Ährenlesen), oder auf einem Kartoffelacker die noch verbliebenen Kartoffeln nach zu hacken. Die älteren Schüler wurden als Erntehelfer freigestellt. Beim Kartoffellesen wurde mit dem Absatz schon mal die eine oder andere Kartoffel wieder in die Erde getreten. Das war beim Nachhaken eine Goldgrube.
Bratkartoffeln wurden oft mit Fischöl oder Lebertran aus der Apotheke zubereitet. Der penetrante Gestank zog sich durch das ganze Haus. Für feine Nasen war das nichts, aber immerhin besser als der Satz vom " Muckefuck " (Kaffeeersatz), der im Notfall zum Braten genommen werden musste, weil es kein Öl oder Fett gab.
Neben dem Ernährungsnotstand gab es in allen Haushalten der Kolonie großen Mangel an Bekleidung, besonders an Säuglings- und Kinderkleidung. Hauptsächlich dem Ideenreichtum und der Geschicklichkeit der Bergarbeiterfrauen- und Töchter war es zu verdanken, das Erwachsene und Kinder einigermaßen ansehnlich und sauber angezogen waren. Sie trugen selbstgefertigte Mäntel und Anzüge aus aufgetrennten und gewendeten Kleidungsstücken und aus gefärbten Wolldecken und Uniformen. Es entstanden Kleider aus Übergardinen und aus karierter Bettwäsche. Die Väter fertigten für die Familie Latschen aus Gummistücken von Transportbändern des Untertagebetriebes an, um dem Schuhmangel abzuhelfen. Frauen, welche in Krefeld bei der Rheinischen Kunstseidenfabrik arbeiteten ( ReiKa) brachten Strickschläuche (Abfallprodukte) mit, diese wurden dann "aufgeriffelt " und zu Pullover oder Strümpfe verstrickt. Es war ein Fest, wenn man diese Strickschläuche "ergattern " konnte. Dann gab es noch die "Zuckersäcke" dieses waren 1 Zentnersäcke deren Kettgewebe aus Papierkordel war, dass Schussgewebe aus einem weißen, undefinierbaren Material. Auch diese wurden " aufgeriffelt " und das Garn verstrickt. Um farbige Pullover zu stricken wurden diese Zuckersackgarne vor dem Stricken gefärbt. Pullover oder Strümpfe daraus kratzten unvorstellbar auf der Haut.
Zu frieren brauchten die Meerbecker in der Nachkriegszeit allerdings nicht; denn die Deputatkohlen wurden weiter geliefert. Damit waren nicht nur Heiz- und Kochenergie gesichert, sondern es war auch ein wertvolles Tauschmittel. Es war zwar mit Strafandrohung des Kohleentzugs verboten, Deputatkohlen zu verkaufen oder zu tauschen. Aber jeder tat es, und jeder wusste es.

Eine wesentliche Besserstellung der Bergarbeiterfamilien gegenüber der übrigen Bevölkerung haben die im Januar 1947 eingeführten IK- Marken (Importwaren-Kaufmarken) gebracht.
Das von der britischen Militärregierung im Ruhrbergbau eingesetzte Punktesystem, sollte durch Sonderrationen, zu erhöhten Leistungen anspornen.
Durch das Punktesystem erhielt jedes Belegschaftsmitglied, entsprechend seiner Lohnhöhe Punkte, die es in der Lage versetzen neben sonst nicht käuflichen Lebens- und Genussmittel wie Fett, Schnaps, Kaffee und Zigaretten auch Textilien und Haushaltswaren sich zu beschaffen. Die Anfangs seitens eines Teils der Belegschaft geäußerte Skepsis wurde bald behoben durch eine von Monat zu Monat sich bessernden Abwicklung und Anlieferung vom Punktesystem.



IK-Marken

Zu einer - wenn auch geringen- Verbesserung der Versorgungssituation in der Kolonie trugen ab Ende 1946, Anfang 1947 die Ausgabe von Butterbroten (große traumhaft belegte Brötchen) und einer warmen Eintopfmahlzeit und die Verteilung von CARE-Paketen an die Belegschaftsmitglieder der Zeche. Die CARE-Pakete waren ebenso wie das Punktesystem zum Leistungsanreiz für die Bergleute eingesetzt. CARE (engl.; Fürsorge) ist eine private US-amerikanische Organisation (Cooperative for American Remittances to Europe = Kooperative für amerikanische Hilfslieferungen an Europa), die seit 1946 Lebensmittelpakete nach Europa verschickte. Nur die unter Tage Beschäftigten erhielten jeweils ein ganzes CARE-Paket, Belegschaftsmitglieder des Tagesbetriebes bekamen den halben Inhalt eines Paketes. Die Halbierung der Pakete wurde vom Betriebsrat vorgenommen. Wenn ein CARE-Paket mit nach Hause gebracht wurde, herrschte große Freude. Der Inhalt der wasserfest verpackten Pakete bestand unter anderem aus: Keksen, eine Dose Schinken mit Ei, eine Dose Corned-beef, eine Dose Pferdefleisch, Kaffee, Kaugummi eine Dose Schoka- Cola und Zigaretten.
Hochkonjunktur erlebte der Handel auf dem schwarzen Markt. Neben Tauschobjekten, (meine »Bezugsperson« war Frau R. an der Römerstraße) sank der Wert des Geldes auf diesen »freien Märkten«; 1 Ei = 12 Reichsmark, 1 Kilo Kaffee= 1100Reichsmark, 20 »Amis« (Zigaretten)=150 Reichsmark.


Anwerbung (Aushang Schacht V,1946)

Unser Vater hatte, will man es wie heute ausdrücken, keinen grünen Daumen. Aber beim Anbau seines Tabaks (Eigenheimer) war er ganz besonders genau. Wenn der Tabak reif war, wurden die Tabakblätter in der Wohnung zum Trocknen auf Leinen aufgereiht. Dann wurden die Blätter eingesprüht, damit man sie rollen konnte. Danach wurden sie gepresst und geschnitten. Unser Vater hatte eine eigene Presse und eine eigene Tabakschneidemaschine. Er war überzeugt, dass er den besten Tabak hatte. Ich erinnere mich nur an den fürchterlichen Gestank.
Trotz aller Not, Entbehrungen, Enttäuschungen und Mühsal haben wir in Meerbeck nie den Mut aufgegeben und eine Portion Humor, wie die beiden folgenden Beiträge zeigen, bewahrt.


Zusatzkarte für Kranke

Ein gutbürgerliches Kochrezept
» Man nehme die Fleischkarte, wälze sie in der Eierkarte und brate sie in der Butterkarte schön braun. Die Kartoffelkarte und Gemüsekarte wird gekocht, und die Mehlkarte hinzugesetzt.
Als Nachtisch brühe man die Kaffeekarte auf und füge die Milchkarte hinzu. Feinschmecker lösen die Zuckerkarte darin auf. Nach dem Essen wäscht man sich mit der Seifenkarte und trockne sich am Bezugsschein.«



Zusatzkarte für Bergschwerarbeiter

Der neue Anzug
»Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand ein reger Zustrom berufsfremder Arbeiter zum Bergbau statt. Guter Verdienst und Sonderzuteilungen waren ein Anreiz zu dieser Maloche.
Auf dem Heimweg nach der Schicht sprach Hannes seinen Kumpel Otto an. Du sag ma Otto, du warst doch ma Schneider, tust du da noch wat drann machen, ich hab gegen son Carepaket nen Anzugstoff eingetauscht, kanze mir da nen Anzug draus machen?
Kein Problem, komm bei mir vorbei, bring den Stoff mit und ich nehme dann Maß.
Bei einer Flasche Bier und noch ein Schnäps'chen, oder waren es doch mehrere, wurde Maß genommen.
Für Sonntag kannst du den Anzug haben, kommst Samstag vorbei.
Bei der Anprobe der Hose stellte sich heraus, dass das rechte Hosenbein zu kurz und das linke zu lang ausgefallen war.
Weißt du Hannes, durch die knieende Arbeit im Pütt hast du eine falsche Beinstellung bekommen. Wenn du das rechte Bein etwas anziehst und das linke Bein etwas steckst, stimmt die Länge.
Rechtes Bein angezogen, linkes Bein gestreckt und schon stimmte die Länge.
Aber kuckma Otto, bei der Jacke is der rechte Ärmel zu lang und der linke zu kurz.
Weißt du Hannes, durch die gebückte Arbeit im Pütt hast du eine ganz verkorkste Haltung.
Wenn du dich nach rechts reckst und nach links etwas nachgibst, dann passt die Jacke.
Rechts, Ärmel gereckt, links, etwas nachgegeben, die Länge stimmte.
Ja aber Otto, am Kragen, da auf der linken Seite da zwickt dat so.
Hannes, das kommt von deiner schlechten Kopfhaltung, weißt du, knieen, bücken und kopfverdrehen im Pütt, da kommt diese Haltung heraus. Wenn du den Kopf zur rechten Seite legst und dann so leicht nach vorne links drehst, sitzt der Kragen wie angegossen. Also, Kopf zur rechten Seite gelegt, leicht nach vorne geneigt und nach links gedreht, der Kragen passte.
Sonntagmorgen, Anzug anziehen!
Hose: Rechtes Bein etwas angezogen, linkes Bein gestreckt.
Jacke: Nach rechts gereckt, nach links nachgegeben, Kopf zur rechten Seite gelegt, nach vorne geneigt und nach links gedreht, der Anzug saß wie angegossen.
Beim Gang zur Kirche schauten die Leute dem armen Kerl nach, der da angekrochen kam.
Du, sag ma,dat is doch dä Hannes, hat dä nen Unfall am Pütt gehabt, dat dä so krumm geht?
Weisichnich, aber kuckdich den seinen Anzug an, dä sitzt wie angegossen, dä muss nen prima Schneider haben! ! !«

Währungsreform
Als wir am Sonntag, dem 20. Juni 1948 bei der Währungsreform 40 DM und kurz darauf noch mal 20 DM kriegten, waren wir zuerst doch ziemlich froh. Man hatte endlich wieder Geld, für das man sich etwas kaufen konnte. Am Montag, dem 21. Juni 1948, wollten die Meerbecker ihren Augen kaum trauen, als in den Schaufenstern der Geschäfte plötzlich die Waren auslagen, welche sie seit Jahren vermisst hatten. Weil die Ladenbesitzer in Erwartung der Währungsreform monatelang Waren gehortet hatten, waren die Geschäfte schlagartig mit langersehntem gefüllt. Lebensmittel blieben allerdings weiter rationiert.



Schlagzeilen in der Presse

Da Ludwig Erhard (CDU), der Direktor für Wirtschaft in der Trizonenverwaltung, bereits am 20. Juni 1948 die Bewirtschaftung und Preisbindung weitestgehend aufgehoben hatte, setzte unter den Verbrauchern ein wahrer Kaufrausch ein. Für besonders begehrte Produkte wie Obst und Gemüse schnellten die Preise in die Höhe; im zweiten Halbjahr 1948 stiegen die Lebenshaltungskosten um 17 Prozent. Um die in den Geschäften angebotenen und in den Haushalten fehlenden Waren, gegen Barzahlung zukaufen, fehlte es den meisten Meerbecker Haushalten jetzt an Geld. Eine Möglichkeit, das Einkommen zu steigern, bestand für die Bergleute im Verfahren von Überschichten an Sonn- und Feiertagen. Was heute häufig als Wirtschaftswunder bezeichnet wird, war kein Wunder, sondern harte Arbeit.
Gewaltige Arbeit war nach dem Krieg zu leisten, um die zerstörten Häuser wieder aufzubauen und die beschädigten wiederherzustellen. Viele Menschen mussten für einige Jahre in Nissenhütten leben, bis die schlimmsten Kriegschäden beseitigt waren und die Neubautätigkeit, besonders nach der Währungsreform, wieder einsetzte. Ende 1950 verschwanden die Nissenhütten. Der Wiederaufbau nach dem Kriege war umso notwendiger, da nicht nur die Stammbelegschaft wieder mit Wohnungen versorgt werden musste, sondern viele die im Bergbau die Grundlage des Wiederaufbaus einer Existenz sahen, bei Rheinpreußen Arbeit fanden und für sich und ihre Familien eine Wohnung suchten. Die ganz zerstörten Häuser wurden nicht im Stil der alten Kolonie aufgebaut. Die Neubauten aus den Jahren 1949/50 unterschieden sich von den herkömmlichen Koloniehäuser. Es entstanden einfache Kleinwohnungen, um den erhöhten Wohnungsbedarf schnell zu decken. Aus damaliger Sicht fehlten ihnen mit Stall und Nutzgarten die baulichen Voraussetzungen für die bergmännische Eigenwirtschaft. Außerdem wurden die neuen Häuser oft genau auf dem Gelände errichtet, welches früher als Pachtland gedient hatte. Die neuen 1 ½ bis 2-geschosssigen Häuser für 2 bzw. 4 Familien fügen sich wegen ihrer gestalterischen Zurückhaltung und ihrer Anpassung bezüglich des Maßstabes gut in das Gesamtbild der Kolonie ein. Die Konzeption der Häuser greift die Grundrissstruktur der Koloniehäuser, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurden, auf. Die Küche und ein Wohnraum liegen im Erdgeschoss, zwei Schlafräume im ausgebauten Dachgeschoss. Bad und WC befinden sich in Gebäude.


Vierfamilienhaus Baujahr 1949/50

In den Jahren 1957/58 wurde ein neuer Typ von Häusern erstellt. Über die Hauseingangstür in der Giebelwand werden jeweils zwei Wohneinheiten erschlossen. Die vier Wohnungen des zweigeschossigen Gebäudes haben eine Größe von je ca. 60 Quadratmeter Wohnfläche. Eine Wohnung setzt sich aus einem Wohnraum, dem Schlafzimmer, Kinderzimmer, einer Kochküche und dem Bad/WC zusammen. Die Wohnung im Erdgeschoss hat einen Austritt auf den Freisitz auf der Gartenseite, die Wohnung im 1. OG verfügt über einen Balkon. Die Häusern an der Halden- und Alt- Hasselt- Strasse wurden 1978 mit Gasetageheizungen und einer Isolierverglasung ausgestattet. Die übrigen Häuser wurden zunächst mit Einzelkohleöfen beheizt, aber später im Rahmen der Sanierung an die Fernwärme angeschlossen.



Vierfamilienhaus Baujahr 1957/58

Neben den in Baulücken der zerstörten Häuser entstandenen neuen Wohnungen, wurden ganze Straßenzüge in dieser neuen Bauweise erstellt. Nachteil dieser Wohnungen ist, dass sie durch ein gemeinsames Treppenhaus erschlossen sind, und damit der eigene Zugang von der Straße und der zugeordnete Hofraum und Gartenbereich fehlen. Mehrere Familien benutzen dasselbe Treppenhaus, fühlen sich im Gegensatz zu früher für Eingang, Vorgarten und Hof weniger verantwortlich.


Bismarckstraße


Neckarstraße

In diese Zeit des Wiederaufbaus kam der Gedanke auf, bergmännische Eigenheimsiedlungen zu bauen. Es ist nicht leicht, sich an die schwere Zeit um 1949 zu erinnern. Damals wurde von der katholischen Arbeiterbewegung ( KAB ) in Meerbeck der Bau einer Eigenheimsiedlung geplant. Am 13. August 1950 tat Generaldirektor Dr. Heinrich Kost von der Zeche Rheinpreußen den ersten Spatenstich. Dabei brachte er zum Ausdruck, dass man der Bergarbeiterschaft mit wirklich sozialen Taten danken müsse für ihren nimmermüden Einsatz, den sie nach dem Zusammenbruch für den Wiederaufbau in der Bundesrepublik geleistet habe. Daher habe Rheinpreußen von jeher den Siedlungsgedanken bei den Bergleuten gefördert und auch das Baugelände von 27.000 qm, östlich der Römerstraße, der Siedlungsgemeinschaft Sankt Barbara zur Verfügung gestellt.

Es entstanden hier 17 zweigeschossige Doppelhäusern welche in harter, mühsamer Eigenleistung erstellt wurden. Jeder Siedler musste ungefähr zwei Jahre lang, vor oder nach der Schicht, an jedem Werktag vier Stunden auf der Baustelle arbeiten. Die Keller wurden aus Beton gegossen. Erst vom Dachstuhl an wurden Handwerker hinzugezogen. So konnten die Häuser schließlich für 23.000 DM erstellt werden. Stolz und glücklich bezogen ab September 1952 die Familien ihrer neuen Häuser, die räumlich schön und zweckvoll erstellt worden waren. Im November 1952 wurde die Siedlung von den Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Wohnungsbau unter der Leitung des Wohnungsbauministers aus Bonn besichtigt. Dabei wurde einstimmig erklärt, dass es sich hier um die schönste Siedlung im Bundesgebiet handele.
Das Gelände östlich der Römerstraße welches bis 1950 hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt wurde, ist heute in ein schönes Wohngebiet umgewandelt worden.

Eine große Veränderung in der Kolonie begann Anfang der sechziger Jahre. Viele, vor allem junge, Meerbecker Familien zogen in die Neubaugebiete von Eick-West, Meerfeld und Eicker- Wiesen. Die Wohnungen besaßen mit Heizung, Spülklosett, Badezimmer, großem Wohnzimmer und kleiner Kochnische eine große Attraktivität. Die Sozialstruktur veränderte sich dadurch schlagartig. Neben den verbleibenden älteren Familien wurden in den freiwerdenden Wohnungen türkische Familien eingewiesen. Es stellt sich die Frage ob vom Wohnungsausschuss der Zeche nicht eine andere Wohnungsverteilung hätte erfolgen können? Es ist ja bekannt, dass das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken besser klappt, wenn die ausländischen Familien nicht so gedrängt aufeinander sitzen. Innerhalb der Kolonie zeigen sich erheblichen Unterschiede in der regionalen Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung. So leben etwas mehr als die Hälfte aller erfassten Ausländer in dem Gebiet nördlich der Bismarckstraße. Hier ist jeder dritte Einwohner (35,6%) ausländischer Staatsbürger. Im Gebiet südlich der Bismarckstraße ist jeder vierte Einwohner (25,1%) Ausländer. Schwerpunkte der ausländischen Wohnbevölkerung bilden sich in dem Gebiet um die Wetterstrasse, Weserstraße, Elbestraße und Mainstrasse sowie im Süden südlich des Eupener- Platzes und vereinzelt im Bereich der Donaustraße zwischen Sieg- und Lippestrasse Es kann hier nicht auf die Probleme im Kindergarten und in den Schulen in Bezug auf Integration eingegangen werden, aber der große Wurf bei der Wohnungsverteilung ist nicht gelungen.

 
 
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